„Geht das nicht auch einfacher?“ – Diese Frage stellst du dir vielleicht, wenn du ein qualifiziertes Arbeitszeugnis schreiben sollst.
Die Antwort: Leider nein – zumindest nicht mit einer Tabelle.
Du kennst das sicher aus dem Schulzeugnis: links die Fächer, rechts die Noten. Übersichtlich, kompakt, auf einen Blick erfassbar. Wäre es da nicht naheliegend, auch ein Arbeitszeugnis so zu gestalten? Schließlich gibt es doch auch hier klare Kriterien – und die Formulierungen im Fließtext entsprechen ohnehin einem gewissen Notensystem.
Warum also nicht einfach: Fachwissen – Note 2, Teamfähigkeit – Note 1, Engagement – Note 3?
Genau das dachte sich auch ein Arbeitgeber und stellte seinem Mitarbeitenden ein Zeugnis in tabellarischer Form aus. Die Idee: klare Struktur, wenig Aufwand, sofort verständlich. Der Mitarbeitende war allerdings wenig begeistert – und zog vor Gericht.
Die Entscheidung? Eindeutig: Ein Zeugnis in Tabellenform genügt den Anforderungen an ein qualifiziertes Arbeitszeugnis nicht.
Warum ein Arbeitszeugnis mehr ist als eine Notenliste
Ein Arbeitszeugnis ist eben kein Schulzeugnis. Es bewertet keine Fächer, sondern beschreibt Leistungen, Erfolg, Arbeitsweise und Verhalten – und das eingebettet in einen ganz individuellen beruflichen Kontext. Und genau deshalb funktioniert das nicht mit „Schulnoten zum Ankreuzen“. Wenn du schon einmal selbst ein Zeugnis erhalten oder geschrieben hast, weißt du: Es geht nicht nur darum, was jemand gemacht hat – sondern auch wie.
Wie engagiert war die Person? Wie lösungsorientiert, wie belastbar? Wie verlief die Zusammenarbeit im Team? Wie war der Umgang mit Kund:innen?
All das kannst du nicht mit einer simplen Zahl erfassen. Es braucht Sprache – präzise, bewusst gewählt –, um einem Menschen in seiner beruflichen Rolle wirklich gerecht zu werden: differenziert, individuell und mit dem Blick fürs Wesentliche.
Was das Gericht dazu sagt
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich 2021 mit genau dieser Frage befasst (9 AZR 262/20). Ein Arbeitgeber hatte ein tabellarisches Zeugnis mit Schulnoten für verschiedene Kriterien erstellt – sachlich, aber eben sehr knapp.
Das Gericht urteilte: Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis muss in Fließtextform verfasst sein. Nur so lässt sich eine individuelle, differenzierte Beurteilung sicherstellen. Die tabellarische Form reiche dafür nicht aus – sie sei zu formal, zu standardisiert und werde der Komplexität einer echten beruflichen Bewertung nicht gerecht.
Denn: Ein Zeugnis braucht Kontext, Nuancen und Zusammenhänge. Es soll zeigen, wer da gearbeitet hat – und wie. Und das gelingt dir nur mit Sprache, nicht mit Spalten.
📄 Quelle: BAG v. 27.04.2021, 9 AZR 262/20
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Gute Nachricht für alle, die ein Zeugnis erhalten
Auch wenn es auf den ersten Blick komplizierter erscheint – diese Entscheidung ist ein echter Gewinn für Arbeitnehmer:innen. Denn sie schützt davor, in einer formelhaften „Zeugnis-Matrix“ zu verschwinden. Arbeitgeber müssen sich mit den Leistungen und der Persönlichkeit ihrer Mitarbeitenden wirklich auseinandersetzen – und das spiegelt sich dann auch im Zeugnis wider.
Ein sorgfältig formulierter Text wertschätzt die berufliche Entwicklung und gibt einen authentischen Eindruck – viel eher als eine Ziffer oder ein Kreuz in einer Tabelle.
Und genau das ist der Sinn eines qualifizierten Arbeitszeugnisses: Es soll nicht nur dokumentieren, sondern Türen öffnen.
Struktur – ja. Tabellen – nein danke!
Klar darf ein Zeugnis gut gegliedert sein. Sinnvolle Absätze, stichpunktartige Aufgabenlisten – all das macht das Lesen einfacher. Aber wenn es um die Beurteilung geht, führt kein Weg an klar formulierten, zusammenhängenden Sätzen vorbei.
Denn: Wer sich die Mühe macht, differenziert zu formulieren, zeigt nicht nur Wertschätzung – sondern schafft ein Zeugnis, das wirklich etwas über die Person aussagt. Und das genau deshalb bei der nächsten Bewerbung auch wirkt.
Hinweis: Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn du konkrete arbeitsrechtliche Fragen hast, wende dich bitte an eine entsprechend qualifizierte Rechtsanwaltskanzlei oder deine zuständige Rechtsberatung.
